Der neue Gedichtband



Reime sind Keime
Vowort zum Gedichtband
Ich hab kein Wort verloren, von Jürg von Ins
Von David Signer (Weltwoche)

Wer schreibt heute noch Gedichte? Der Reim ist ein bisschen aus der Mode gekommen, scheint es. Dabei gibt es, in seiner Mischung aus Notwendigkeit und Zufall, kaum einen besseren Verbal-Aufmischer. Reim? Schleim, Heim, Seim, Leim – und alles beim Oheim daheim! Reime sind Keime; Erreger, in aller Vieldeutigkeit. Kein Wunder, wird beim Singen immer noch gereimt. Das Pestizid ist noch nicht erfunden, das den Reim vertilgen könnte.

Nun gut, ein Vorwort. Anmerkungen zu Gedichten? Absurd. Aber, wie T.S. Eliot sagte: „For us there is only the trying, the rest is not our business.” Versuchen wirs. Bin gestern hineingetaucht. Was für ein Drama. Wir sehen einen Mann in einem sonnengebleichten Mantel vor uns, der von allem gekostet hat. Keine Süssigkeit unbeleckt an sich vorübergehen liess. Dionysisches und Apollinisches in seinem Mixer zu einem grobkörnigen Pürée verrührt hat, das keinen gleichgültig, aber manche Frage offen lässt. Und der trotz alldem sich selber geblieben ist? Gott bewahre. Dafür eine Art Weisheit gewonnen hat, die aussieht, als ob sie von Golo, dem Hund, in einem manischen Schub zerfetzt worden wäre. Wer diese Gedichte liest, braucht keine Spirituosen mehr. Er lehnt sich zurück und hat ein paar Stunden Stoff zum Träumen. Aber wie beim Konsum anderer Inspirationshilfen wird er nicht richtig satt davon, im Gegenteil. Der Appetit kommt beim Essen. Rund 80 Seiten sind – obwohl für einen Gedichtband opulent – einfach zu wenig. Wir sind doch nicht in einem Diätprogramm oder einer Entziehungskur! Aber gut, man kann dieselben Gedichte auch mehrmals konsumieren. Manche sind wie Rettungsringe, andere wie rote Gummiboote, andere wie Flaschen ohne Botschaft. Aber alle sind mehr flüssig als fest, und trotzdem nie überflüssig. Man müsste mal versuchen, eines dieser Gedichte zu rauchen. Aber nicht in der Nähe eines Swimmingpools. Gefahr des Reinkippens. Man könnte sie auch zu Papierfliegern falten und seiner Frau in der Badewanne zuwerfen. Nein, besser nicht; vielleicht hätten sie die Wirkung eines Föns.

Sex & Drugs & Rock’n’Roll, oder, wie man früher sagte: Wein, Weib und Gesang. Wobei sich die drei gerne vermischen und ausdehnen. Der Witz ist ja, dass alles erotisch, beschwipst und von Musik durchzogen ist. Pan. Metamorphosen. Mal ist er Golo, der Hund, mal ein Kormoran, mal ein geiler Affe. Frau und Kind sowieso mit schöner Regelmässigkeit. Und tropische Winde wehen durch die Seiten, der Bambus beugt sich ächzend. Eigentlich ist JvI ja, was man früher einen poeta doctus nannte. Wobei poeta so schön feminin klingt und doctus an Doktor und Doktorspiele erinnert. Wie sagte doch ein Chefredakteur einst: „Immer in die Wunde schreiben!“ So nett. Gerne neigen die Gedichte denn auch zum stechenden Aphorismus. „Oft zahlt des Einen Neugeburt/ ein Andrer mit dem Tod“ oder „Wahrheit ward immer schon herausgezogen/ aus etwas Anderem, das vorher war“. Macht nichts, kann jedem passieren. Bei JvI passiert die Erkenntnis wie ein Unfall. „Schau nicht, wo du hingefallen/ schau wo ausgerutscht“. Bewusstes Schlittern. Das Gedicht als kultivierter Lapsus. Lallen und Heiliger Geist sind nicht immer zweifelsfrei auseinander zu halten, ja: Seit je her wird gelallt, wo der Heilige Geist weht. Manchmal fallen sogar Ostern auf den 1. April.

Eigentlich ist ja jeder Dichter ein Rumpelstilzchen. Er fordert die Leute auf, seinen Namen herauszufinden. Wer zum Teufel ist das, der da spricht? Und manchmal, wenn er meint, niemand schaue ihm zu, verrät er sich plötzlich beim nächtlichen Feuertanz. Und dann zerreisst er sich vor Ärger. Wie ein Promi mit Sonnenbrille, der gesucht, aber nicht erkannt werden will.

Und wie nahe das Erhabene und das Lächerliche nebeneinander liegen, ja sich leidenschaftlich ineinander verkrallen! Hier weiss das Göttliche, dass es jeden Moment auf einer Bananenschale ausrutschen könnte, aber auch das Banale und Anale wird durch den Reim geadelt: „Dichter kommen erst zu Ehre/ wenn das gänzlich Lapidare/ mit dem Transzendenten spielt.“

Und wie ein Blues, wie das Leben hat JvIs Gedichtkreis eigentlich kein Ende. Wir brechen die Fahrt einfach irgendwo ab, um sie anderswo neu zu beginnen.




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Jürg von Ins
Ich hab kein Wort verloren
Gedichte

Soeben erschienen im Wolfbach-Verlag, Zürich.
> Wolfbach-Verlag

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